6. März 2013

Stalins langer Schatten

Vor genau 60 Jahren, am 5. März 1953, ist Josef Vissarionovič Dzhugashvili, besser bekannt unter seinem nom de guerre Josef Stalin, in Moskau gestorben. In Georgien, seinem Heimatland, kann man dem eindringlichen Antlitz des Diktators kaum entkommen: Flohmärkte verkaufen Souvenirs von Porträts über Büsten zu angeblichen Originalgegenständen, Stalin-Monumente werden ab- und wieder aufgebaut (oder pink angemalt, siehe hier: http://www.youtube.com/watch?v=pELfUPoDtaY), und Führungen durch Tiflis zeigen berühmte Originalschauplätze, zum Beispiel des Tifliser Bankraubs von 1907. Die Heimat des tyrannischen Diktators hat immer noch ein stark ambivalentes Verhältnis zum berühmtesten Sohn. Das kleine Städtchen Gori, Stalins Geburtsort, beherbergt das weit über die Grenzen Georgiens hinaus bekannte Stalinmuseum. Es ist ein Heiligenschrein, fast unverändert seit 1957, mit Stalins gespenstischer Totenmaske und lebensgroßen Porträts des großen Führers. Laut einer Umfrage des Carnegie Moscow Centre haben sechs Jahrzehnte nach seinem Tod immer noch 45% aller Georgier eine positive Einstellung zu Stalin.

Aber das Erbe, das Stalin hinterlassen hat, geht weit über nostalgische Erinnerungskultur hinaus. Die sogenannten „frozen conflicts“ auf dem ehemaligen Gebiet der Sowjetunion (die eigentlich alles andere „frozen“ sind) lassen sich in vielerlei Hinsicht auf Stalins Nationalitätenpolitik zurückführen. In den dreißig Jahren seiner Herrschaft wurden ganze Völker deportiert und willkürlich Grenzen zwischen Republiken gezogen, um die riesige Landmasse des sowjetischen Reiches in einen einheitlichen sozialistischen Staat zu verwandeln. Dabei wurden ethnische Konflikte geschaffen oder verstärkt, die bis heute tickende Zeitbomben sind. Dazu gehört der Nagorno-Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan ebenso wie der Transnistrien-Konflikt in Moldau und natürlich Russlands nordkaukasischer Alptraum in Tschetschenien.

Das kleine Georgien mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern hat gleich zwei solcher Konflikte, nämlich mit den abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien.

 Im Jahre 1931 schlug Stalin die bis dahin unabhängige sowjetische Republik Abchasien Georgien zu. Fünf Jahre später lud Lavrenti Beria – Vorsitzender der Kommunistischen Partei im Transkaukasus und später maßgeblich Verantwortlicher für die stalinistischen Säuberungen – den populären abchasischen Führer Nestor Lakoba zum Abendessen in sein Haus in Tiflis ein. Kurz darauf starb Lakoba, angeblich an einem Herzinfarkt. Die gesamte abchasische Regierungsführung wurde anschließend in Schauprozessen zum Tode durch Hinrichtung verurteilt.  

Diese Geschichte blieb unvergessen in Abchasien. Nach dem Ende der Sowjetunion kamen alte Ressentiments wieder an die Oberfläche. Gemeinsam mit Südossetien kämpfte Abchasien erfolgreich für Autonomie gegenüber der Tifliser Zentralregierung. In den neunziger Jahren wurde eine delikate Balance im Verhältnis zwischen Tiflis auf der einen und Südossetien und Abchasien auf der anderen Seite aufgebaut, die jedoch jederzeit wieder zu kippen drohte – so wie schließlich im August 2008 geschehen.

Beunruhigt durch nahezu tägliche militärische Zusammenstöße in den Konfliktgebieten und verstärkte russische Truppenpräsenz erteilte Präsident Saakashvili am 7. August 2008 den Befehl zur militärischen Operation gegen Südossetien. Moskau eilte nach eigener Interpretation „russischen Bürgern in Südossetien zur Hilfe“ und russische Truppen rücken bis auf Gori vor, 45 km vor Tiflis. Nur durch die Vermittlung von Nicolas Sarkozy, damals EU-Ratspräsident, konnte ein Waffenstillstand vereinbart werden. Südossetien und Abchasien erklärten ihre Unabhängigkeit, anerkannt von Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru, Tuvalu und Vanuata.

Seit dem Krieg spielt die EU eine wichtige Rolle als Mediator zwischen Russland und Georgien. Die EU Delegation, bei der ich arbeite, verwendet viele Gelder für Projekte zur Verbesserung der humanitären Situation insbesondere für IDPs. Ein Special Representative für den Südkaukasus wurde ernannt und eine Monitoring Mission eingerichtet, die mit täglichen Patrouillen die so genannte „Administrative Boundary Line“ (ABL) – Boundary, um den Begriff „Border“ zu vermeiden – zwischen Südossetien/Abchasien und Georgien überwacht. 

Es ist eine kleinteilige, aber wichtige Arbeit. Jede Woche wird die internationale Gemeinschaft gebrieft über Vorkommnisse – Schüsse, die gemeldet worden sind, Truppenbewegungen auf der anderen Seite, illegale Übergänge, etc. Dabei ist das umstrittene Gebiet so überschaubar, dass man sich nur auf einen Hügel stellen muss, um den russischen Truppen beim Fläzen in der Sonne zuzusehen.

Es ist völlig offen, wann und ob dieser Konflikt jemals gelöst werden kann. Die neue georgische Regierung, geführt von einem Billionär, der sein Geld in Russland gemacht hat, verfolgt eine gute und richtige Politik der vorsichtigen Annäherung an Russland. Sie wird jedoch niemals die territoriale Integrität Georgiens zur Diskussion stellen. Und für Russland ist eine stabile Instabilität in Georgien, ebenso wie in vielen anderen Ländern von russischem Interesse, nur vorteilhaft, um seinen Einfluss zu wahren. Stalins langer Schatten verdüstert auch 60 Jahre nach seinem Tod noch das Zusammenleben im Südkaukasus.  

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