1. September 2017

Toleranz durch Schüler*innenaustausch – für alle!

Strahlende Teenager in Sprungpose vor der Golden Gate Bridge oder mit Fächern auf der chinesischen Mauer – mit schillernden Bildern werben Agenturen für internationale Austauschprogramme.

Kritiker*innen sehen solche Trips als Must-Have der Elite; vom Beitrag zur Völkerverständigung sprechen unterdessen Befürworter*innen.
Wie wäre es mit einem Austauschprogramm für ganze Klassen statt einzelner Schüler*innen, das ohne die Flugmeilen auskommt und dennoch die begehrten interkulturellen Kompetenzen vermittelt? Warum wir einen solchen Austausch im Jahr 2017 mehr denn je brauchen und wie er möglich ist: ein Zwiegespräch.

Schüler*innenaustausch für alle – jetzt echt? Wer soll das bezahlen, und wie soll das überhaupt gehen? Wieder so eine halbgare Hippiefantasie.

Sachte, es geht hier wirklich um eine gute, umsetzbare Idee. Also der Reihe nach: Wer bei den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich mitgefiebert hat und die legale Verschmutzung der eigenen Stadt durch Plakate der Alternative für Deutschland (AfD) mit ansehen muss, weiß: der Rechtspopulismus macht sich in Europa breit. Und er nährt sich vor allem von der Angst vor dem Fremden: fremden Kulturen, Wertevorstellungen und Glaubenszugehörigkeiten, die den eigenen Lebensstil bedrohen sollen. So die Logik zumindest.

Klar, aber Angstmacherei und Kampagne gegen Migrant*innen gibt’s nichts erst seit gestern. Menschen setzen sich ja auch erfolgreich zur Wehr, wie man bei vielen AfD-Kundgebungen sehen kann.

Ganz richtig, es ist kein neues Phänomen. Und als effektives Mittel gegen Intoleranz und für ein verständnisvolles Miteinander wurde daher der internationale Schüler*innenaustausch bereits nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ins Leben gerufen. So gehen in Deutschland mittlerweile jedes Jahr 15 000 bis 20 000 Schüler*innen im Alter von 15 bis 17 Jahren für mindestens drei Monate ins Ausland. Ließen sich damit zwar 35 Superjumbos vom Typ A380 füllen, sind es im Schnitt dennoch nur zwei Prozent der relevanten Zielgruppe im Land. Die kommen dann auch noch überproportional aus den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen. Außerdem sind es trotz zunehmender Stipendien überwiegend Gymnasiast*innen aus wohlsituierten Familien, die ins Ausland gehen.

Aber wie genau sollen nun mehr Schüler*innen in den edlen Genuss kommen?

Eine Möglichkeit, einer größeren Gruppe Erfahrungen in einem anderen kulturellen oder auch sozio-ökonomischen Umfeld zugänglich zu machen, besteht darin, Austausch unter Schüler*innen innerhalb Deutschlands zu organisieren. In Ländern wie Indonesien, welche dem Selbstverständnis nach multiethnisch und -religiös sind, haben Organisationen dieses Prinzip zur Förderung von Toleranz bereits für sich erkannt.

Das Sabang-Merauke-Programm fördert den Schüler*innenaustausch innerhalb Indonesiens. // Bildnachweis: Sabang Merauke
Auch Stipendien unterstützen den Austausch junger Menschen: Diese Schüler*innen waren 2013 Teil eines Programms zwischen Deutschland, China und der Türkei. // Bildnachweis: Flickr: Simon Bierwald für Stiftung Mercator

Drei indonesische Studierende gründeten 2012 das „Sabang Merauke“-Programm, das es 12bis 15-Jährigen aus unterschiedlichen Regionen Indonesiens ermöglicht, für zwei bis drei Wochen in der Hauptstadt Jakarta bei einer Familie zu leben, die einer anderen Ethnie und/oder Religion angehört.

Deutschland und Indonesien kann man ja nicht wirklich vergleichen.

Auch wenn Deutschland sich nicht über 17 000 Inseln und drei Zeitzonen erstreckt oder sich über mehr als 30 Hauptethnien und über 500 Subgruppen definiert, gibt es auch hierzulande ausreichend Vielfalt. Der Anteil der auslandsstämmigen Bevölkerung liegt bei 13 Prozent – wie in den USA.

Trotzdem schwer vorstellbar, wie das hier dann funktionieren sollte; sollen alle Kinder eine Woche nach Berlin fahren?

Tatsächlich hat es in Deutschland bereits ein inländisches Austauschprogramm gegeben: Um nach der Wende die Kluft zwischen Ost und West zu überwinden, gab es auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau von 2002 bis 2005 das Projekt „Jugend recherchiert Umwelt – 100 Schulen im Dialog“. Schüler*innen der neunten und zehnten Klassen aus je 50 Schulen in den alten und neuen Bundesländern besuchten sich gegenseitig für drei Tage, um an Umweltthemen zu forschen. Laut offizieller Projektbeschreibung war das Ziel, „dazu beizutragen, die innere Einheit Deutschlands voranzubringen“. Bezog sich diese Einheit zwar auf die Ost/WestDimension, konnten die Schüler*innen auch darüber hinaus andere Kulturen kennenlernen. Eine Schülerin aus Erfurt berichtete über ihre Vorfreude darauf, das türkische Familienleben ihrer Austauschpartnerin in Berlin zu erleben. Die junge Berlinerin gab an, von der Aufgeschlossenheit „in der Kleinstadt“ positiv überrascht worden zu sein.

Ok. Aber wenn es so erfolgreich war, warum lief es nur bis 2005?

Heute stehen Ost/West-Vorurteile im Hintergrund. Eine gesellschaftliche Diversität besteht nichtsdestotrotz mehr denn je – und Handlungsbedarf bei den damit verbundenen Herausforderungen auch. Im Oktober 2016 gestand der damalige Außenminister und nun amtierende Bundespräsident FrankWalter Steinmeier ein, dass Deutschland beim Thema Toleranz noch viel dazulernen könne. Es könnte also gerade keinen passenderen Bundespräsidenten geben, dem man die Initiative zum inklusiven, intra-nationalen Schüler*innenaustausch vorschlagen sollte. Damit auf nach Bellevue!