13. Mai 2017

Von Absicht, Identität und Mediation – Gedanken zu Stage 2 in La Muskitia, Honduras

Ein Holzverschlag auf Stelzen fungiert als örtliche Kirche. Im Schatten des Unterbodens suchen Ziegen Zuflucht vor der sengenden Mittagshitze. Einige Stufen, dann trete ich ins karge Innere des Gotteshauses. Drinnen schlägt mir die angestaute Hitze des Vormittags entgegen. Eine unbarmherzige Wand aus gefühlten 40 Grad Celsius. Schweiß steht im Gesicht, rinnt die Wange herunter. Links und rechts vier Bankreihen, am Ende des Ganges ein leicht erhöhter Altar, zwei Stufen. Im Hintergrund hängt, als textiles Banner, ein weißer gekreuzigter Christus von der Decke herab. Ich bin in Mocorón, einem indigenen Dorf von ca. 300 Bewohnern im Department Gracias a Dios – la Muskitia, Honduras.

Die Muskitia, das ist eine riesige Landmasse aus Regenwald und Graslandschaften im Grenzgebiet zu Nicaragua. Die Region ist indigen geprägt; vier große Bevölkerungsgruppen stellen die Mehrheit der Einwohner: Miskito, Tawahka, Pech und Garífuna. Spanier und Engländer hinterließen hier ihre Spuren, zwangen den Menschen Sprache, Glauben und Protektorat auf. 1859 ging das Territorium aus englischer Hand an den souveränen Staat Honduras über. Dieser investierte wenig in den Ausbau der regionalen Infrastruktur. Bis zum heutigen Tage ist die Muskitia weitestgehend vom Rest des Landes abgeschnitten, marginalisiert, arm. Lange, beschwerliche Reisen mit dem Boot oder ein direkter Einflug mit dem Kleinflugzeug sind die einzigen Möglichkeiten, um hierher zu gelangen. Bildung, Arbeit, Gesundheit, Essen, Elektrizität, Sicherheit – all diese Güter stehen in der Muskitia nur in begrenztem Maße zur Verfügung.

In der Muskitia sind entwicklungspolitische und sicherheitsrelevante Herausforderungen zahlreich. Der erste Blick zeichnet ein Bild schwacher staatlicher Institutionen, inflationärer Korruption und grassierender Straflosigkeit. Seit einigen Jahren  infiltrieren externe Interessen und Akteure indigene sowie staatliche Strukturen,  schwächen ihre Funktionalität und Legitimität, nehmen Land und Leute in Beschlag. Wirtschaftliche und politischen Sphären sind oft eng mit der organisierten Kriminalität verbunden. Der verstärkte Schmuggel von Drogen, Schnittholz und anderen Ressourcen in und über die Muskitia führte in der Vergangenheit zu einer starken Militarisierung der Region. Sowohl honduranische als auch US-amerikanische Streitkräfte zeigen heute hier Flagge. Es gibt viele Konflikte in der Region, vor allem entlang Streitigkeiten um den Besitz von Land, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, dem Drogenschmuggel, oder der Verletzung von indigenen Rechten.

Hier also, in Mocorón, la Muskitia, soll ich eine Fortbildung geben. Es geht um Mediation und Dialog – Instrumente, um Meinungsverschiedenheiten „konstruktiv“ und „gewaltfrei“ beizulegen. Diese „Intervention“ ist Teil eines größeren Projektes des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Auf kommunaler Ebene sollen die Fortbildungen dazu beitragen, gewaltsame Auseinandersetzungen zu reduzieren oder, idealerweise, zu verhindern. Auf übergeordneter Ebene geht es darum, indigene Verhandlungspositionen und Interessenvertretung vis-a-vis der Zentralregierung zu stärken. Unter der Schirmherrschaft der „Internationalen Gemeinschaft“ initiierte der heutige Präsident Hernandez vor einigen Jahren einen Prozess zur „nachhaltigen Entwicklung“ der Muskitia unter Berücksichtigung indigener Weltanschauungen. Eine Dialogplattform – zusammengesetzt aus Vertretern der Regierung und der indigenen Bevölkerung – soll zentrale Themenbereiche identifizieren und abhandeln, Entwicklungsprioritäten benennen. Letztere sollen dann wiederum durch staatliche Institutionen in Zusammenarbeit mit multilateraler und bilateraler Unterstützung aufgegriffen und durch entsprechende Programme und Projekte vor Ort angegangen werden. So weit so gut. Doch wie weit und in welcher Form kann man diesen Prozess als Außenseiter unterstützen?

Unbehagen erfüllt mich  als ich mich in der Kirche umsehe, den Christus mit der Dornenkrone im Hintergrund. Losgelöst von meinen Beweggründen und meinem Verhalten repräsentiere ich in diesem Kontext doch erstmal per se eine Identität, die durchweg negative Konnotationen transportiert, oder? Weiß, westlich, christlich…Hier vor einer Gruppe indigener Bewohner zu stehen, ein „Bildungsangebot“ zu machen, auf Spanisch – reflektiert und verstärkt das nicht historische Muster der Kolonialisierung und aufgezwungenen Glaubensbekenntnisse? Richte ich hierdurch nicht Schaden an, obwohl meine Intentionen doch eigentlich ganz andere sind? Mit welcher Legitimität und Glaubwürdigkeit finde ich mich hier eigentlich wieder? Welche Relevanz haben Konzepte zur alternativen Konfliktbeilegung überhaupt in einem Kontext, der stark von Gewalt, Recht- und Straflosigkeit bestimmt ist?

Viele Gedanken schießen mir durch den Kopf und bewegen mich dazu, einige Zeit später diesen Blogeintrag zu schreiben. Vielleicht ist diese Erfahrung exemplarisch für vieles, was im Bereich der Entwicklungs- und Friedensarbeit verkehrt läuft – und genau deswegen so wertvoll für mich. Prinzipien wie „Do no Harm“ und „Conflict Sensitivity“ gehören mittlerweile zum Standardvokabular einer jeden „Fachkraft“. Was aber bleibt von diesen Konzepten in Kontexten deren Grundgegebenheiten Ressourcenknappheit, Komplexität und eine sich überschlagende Dynamik sind? Das Jahr als Mercator Fellow wirft in mir mehr Fragen auf als das es Antworten bereit hält . Diese wollen durchdacht werden. Und das braucht Zeit. Zum Glück habe ich mit meinen Freund*innen und Mitstipendiaten*innen eifrige Denker*innen zur Seite, von denen ich lerne, die mir helfen, das Durcheinander zu ordnen. Noch bin ich nicht an dem Punkt, eine Stoßrechnung aufzumachen. Mit Hinblick auf meine Zeit in Honduras lässt sich allerdings eine erste persönliche Skizze entwerfen:

Absicht ist nicht gleich Wirkung: Dieser Gedanke ist so banal wie essentiell. Absicht und Wirkung müssen in der Konzeptionierung, Ausführung, zwischenzeitlichen Analyse und abschließenden Bewertung unseres Handelns klar getrennt werden. Hierbei muss das Augenmerk auf dem Ende, nicht dem Ausgangspunkt der Gleichung liegen. Eine negative Wirkung durch eine positive Intention zu entschuldigen und schönzureden kann nicht als Handlungsmaxime akzeptiert werden.

Repräsentative Identität zählt: Vollkommen unabhängig davon wie ich mich verhalte, was ich denke oder glaube, repräsentiere ich allein durch meine Anwesenheit eine gewisse Identität: Weiß, westlich, männlich, heterosexuell, christlich, et cetera. Je nach den historischen, sozioökonomischen und politischen Gegebenheiten kann diese Identität in unterschiedlichen Kontexten problematisch wirken. Dies zu analysieren und meine eigene Einbindung in Interventionen entsprechend zu justieren ist von zentraler Bedeutung.

Mediation only goes this far: In einem Kontext, der sich durch starke Machtasymmetrien und Straflosigkeit auszeichnet, in dem Gewalt vom Staat kaum sanktioniert wird und Geld Einfluss und Recht erkauft, kann Mediation nur begrenzt ein Angebot machen. Welchen Anreiz haben jene, die Macht und Stärke besitzen, sich auf eine Mediation einzulassen, wenn die Alternative – (gewaltvoller) Zwang – augenscheinlich so viel effektiver ist? Besteht nicht gar das Risiko, einen Prozess zu unterstützen, der letztlich nur bestehende Machtverhältnisse zementiert und schönfärbt?

Ein Ruckeln. Ich sitze im Propellerflugzeug der lokalen Fluggesellschaft in Richtung Hauptstadt und sehe Puerto Lempira – meine “Duty Station” in der Muskitia während der letzten Monate – langsam unter mir vorbeiziehen: Weiß gestrichene Sendemasten, eine staubig-rote Landebahn, kristalline Salzwasserlagunen, rostig-braune Holz- und Wellblechhütten, trächtige  Mangobäume; all dies löst sich nach und nach auf, verschwimmt und verschwindet aus dem Blickwinkel. Auch in Gedanken schweife ich ab: Hinter mir liegt eine erfahrungsreiche Zeit in der Muskitia; vor mir die Chance, Gelerntes in einem anderen Kontext zu überprüfen, weiterzudenken und anzuwenden – nur eines der zahlreichen Privilegien, die einem durch das Mercatorkolleg zu Teil werden.