27. Oktober 2018

Von der Idee zum getesteten Produkt in nur 5 Tagen – geht das?

Lead: Die Situation kennen wohl viele von euch, sei’s von der Arbeit oder von privaten Projekten: Eine Idee oder ein Projekt besteht zwar auf dem Papier, will aber nicht so richtig abheben. Wie weiter? Wir haben’s mit einem neuen Ansatz dem “Sprint” von Google Ventures versucht und sind grösstenteils begeistert.

Da waren wir nun also endlich: in einem Zugwaggon Richtung Brighton, schon mitten drin in unserem «Sprint». Hier schon dabei waren, John ein früherer Kollege von UN Zeiten; Samuel, ein Professor an der George Washington Universität und ich. Bild: Benjamin Gräub.

Die Vorgeschichte: Etwa zwei Jahre zuvor hatte ich die Vereinten Nationen verlassen, wo ich mit John, einem Kollegen, eine App zur Messung der Klimaresilienz von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern mitentwickelt hatte. Mit Hilfe von Tablets füllten die Bäuerinnen und Bauern einen speziell entwickelten Fragebogen aus. Mit den gesammelten Informationen identifizierten wir Bereiche von hoher und tiefer Resilienz auf den Bauernhöfen. Basierend darauf konnten dann Projektaktivitäten angepasst werden, um gezielt die Resilienz der Bäuerinnen und Bauern zu erhöhen. John und ich waren immer wieder sporadisch an der weiteren Umsetzung der App beteiligt. Gleichzeitig dachten wir aber, dass es Sinn machen würde, die App weiter zu entwickeln. Anstatt Klimaresilienz nur messbar zu machen, wäre es doch perfekt, den Bäuerinnen und Bauern mittels der App auch gleich Zugang zu Lösungsansätzen zu geben. Doch wir waren beide mitten im Arbeitsleben und konnten nicht einfach Vollzeit in eine Idee investieren, auch wenn wir sehr an sie glaubten.

Die Idee: Über meinen aktuellen Job bei Ricolab, dem Innovationlabor von Ricola, habe ich viel mit Innovation und vor allem “Corporate Innovation” zu tun. Da komme ich auch immer wieder mit neuen Ansätzen zur Innovation in Kontakt. Ein Buch, “Sprint” von Jake Knapp, faszinierte mich besonders. Knapp arbeitet mittlerweile beim Investitionsarm von Google (Google Venture) und hat über die Jahre die Methode verfeinert. Wie so oft im Innovationsbereich geht es darum, möglichst günstig und schnell etwas auszuprobieren, um die Risiken und Kosten klein und die Flexibilität hoch zu halten. Ich dachte mir: wieso eigentlich nicht die Methode besser kennen lernen und innerhalb einer Woche testen, ob unsere Idee wirklich so gut ist, wie wir meinen.

Der Prozess: Der Ansatz sieht vor, am Montag ein längerfristiges Ziel zu setzen, sowie Fragen für die Woche und einen Prozess zu definieren, welcher verbessert werden soll. Außerdem sollen Inputs von Experten eingeholt werden. Über die fünf Tage wird dann ein möglicher Lösungsansatz ausgewählt, ein Prototyp entwickelt und mit möglichen Anwendern getestet. Der Ansatz wurde ursprünglich eher für Softwareanwendungen entwickelt, wir finden aber, dass er eigentlich für fast alle Bereiche anwendbar ist. Der Prozess ist im Buch und auf der Website im Detail und mit Checklisten beschrieben. D.h. Vorkenntnisse sind nicht nötig und ihr braucht nur das Buch (oder sogar nur die Website), um einen Sprint durchzuführen.

Bei uns sah dies dann folgendermaßen aus: Am Dienstag inspirierten wir uns durch andere relevante Apps, um mögliche Lösungsansätze für Bäuerinnen und Bauern zu identifizieren. Wir stellten uns da gerade auch die Frage, ob wir durch traditionelles Entwicklungsgeld oder über eine Finanzierung durch die Bäuerinnen und Bauern selbst arbeiten wollten. Am Mittwoch wählten wir eine Lösung aus und bauten ein “Storyboard” dafür auf. Am Donnerstag bauten wir schließlich einen Prototypen, d.h. in unserem Fall eine “Fake App” mit etwa 20 Screens (siehe Bild unten). Am Donnerstagabend und Freitag holten wir bei Anwendern – in unserem Falle Personen, die Projekte im Klimawandel- und Resilienzbereich in Entwicklungsländern koordinieren, Feedback ein (das äußerst positiv war).

So sah unsere "Fake App" für Mobiltelefone in der Entwicklung aus. Bild: Benjamin Gräub.

Und, wie fanden wir’s? Super! Wir waren am Freitag zwar alle völlig geschafft, aber wir fanden es auch alle extrem erfrischend, wie viel mit einer relativ straffen Struktur innerhalb einer Woche umgesetzt werden kann. Die Methode führte uns weg vom (oft ziellosen) Brainstorming, hin zu klar getrennten kreativen Gruppen- oder Einzelarbeitsphasen, um dann für Entscheidungen wieder zusammen zu kommen. Wir fanden das Buch und die Website (www.gv.com/sprint) extrem einfach und praktisch geschrieben. Besonders toll fand ich, dass jeweils nur von 10 bis 17 Uhr gearbeitet wird, einstündige Mittagspause inklusive.  Mehr Zeit ist eben nicht unbedingt besser. Außerdem hatten alle Teilnehmer dadurch die Möglichkeit, morgens ihre Emails zu beantworten.

Testen des Prototyps online mit einem möglichen Kunden. Bild: Benjamin Gräub.

Downsides? Nicht so gut klappte, dass wir auch versuchten, direkt das Follow-up und eine mittelfristige Perspektive aufzubauen. Dafür ist in den fünf Tagen schlicht kein Raum (weder zeitlich noch in den Köpfen). Unser Fazit: überladet das Boot nicht! Vom Problem zum getesteten Produkt in 5 Tagen zu gelangen ist bereits ambitioniert genug. Das heißt aber auch: plant nach dem Sprint Zeit für ein Follow-up ein. Da wir ja etwas ganz neues anreißen wollten, war es schwer zwischen dem Design der App und der Entwicklung eines Plans für die nächsten drei bis sechs Monate hin und her zu wechseln. Gerade für uns wäre es wichtig gewesen, zusätzliche gemeinsame Zeit nach dem Sprint zu haben.

So geht’s bei uns weiter: Wir sind äußerst glücklich über das erste Feedback. Im nächsten Schritt möchten wir einen einfachen, funktionierenden Prototypen –  sprich eine funktionierende App –  programmieren und mit Bauern in Ostafrika testen. Ziel ist es herauszufinden, ob diese so eine App überhaupt brauchen können, und wenn ja, wie sie nachhaltig finanziert werden könnte. Gleichzeitig möchten wir unsere Lehren auch teilen und werden einen Artikel auf der International Conference for Sustainable Development an der Columbia University vorstellen.

Und was nun für euch? Einfach mal machen! Probiert doch bei eurem nächsten größeren (oder kleineren) Projekt auch mal einen Sprint aus – gerade wenn’s bisher nicht vorwärts ging. Und nur keine Angst, am einfachsten lernt ihr wie’s geht, wenn ihr es einfach einmal ausprobiert (oder ihr fragt mich an und wir gehen es gemeinsam durch).

Vielen Dank an dieser Stelle an das World Food System Center der ETH Zürich und die Stiftung Mercator Schweiz, welche uns bei unserem Sprint finanziell unterstützt haben.