10. August 2012

Von Oberflaechen und tief sitzendem Schrecken – Counter-Trafficking bei der IOM in Bangkok

In meiner letzten Stage, im Regional Office der IOM in Thailand, eroeffnen sich mir neue Horizonte. Wortwoertlich, denn dies ist mein erster Aufenthalt in Suedostasien. Bangkok, so stellte sich heraus, ist heute eine moderne Metropole, in der globalisierte Unternehmen und internationale Konsumgueter gleichermassen verbreitet sind. Die Strassen sind stets angefuellt mit Menschenstroemen, die tagtaeglich zu ihren Arbeitsstaetten pilgern. Die Lebensadern Bangkoks, die U-Bahn MRT und die Schnellbahn BTS, machen Tokyo zu Stosszeiten Konkurrenz. Endlich einmal zu den groesseren Menschen in der Bahn zaehlend, habe ich den Luxus, meinen Kopf ueber die Menge der Passagiere zu strecken und nach Luft zu schnappen. Auf den Strassen steht zwischen 8 und 10 Uhr morgens und zwischen 17 und 20 Uhr abends der Verkehr mit laufenden Motoren beinahe still. Ab und zu ertoent ein lautes hilfloses Hupen.

Unter der glatten, sauberen Oberflaeche der pulsierenden Stadt verbergen sich ueberlappende soziale und kulturelle Spannungen zwischen low-so (low social status) und high-so (high social status) Thais, zwischen Menschen der aelteren Generation und Juengeren, zwischen Tradition und Digitalisierung, zwischen Maennern und Frauen, zwischen MigrantInnen, Minderheiten und Thais, zwischen Religion und Konsum (oder ist das dasselbe?) und vielen weiteren kontrastierenden Paarungen, die hier nicht genannt wurden.

In meiner Arbeit in der Counter-Trafficking Unit beschaeftige ich mich mit verschiedenen Problemen im Bereich Menschenhandel in der gesamten Region Asien und Pazifik, insbesondere mit sexual and labour exploitation. Zwischen all den Gesetzen und Regierungstexten, zwischen bilateralen Abkommen von Sender- und Empfaengerstaaten der MigrantInnen, internationalen Rahmenabkommen und –dialogen (Bali Process, Colombo Process, Abu Dhabi Dialogue, COMMIT Process…), dem Problem der Regulierung von Arbeitsmigration durch Recruitment Agencies (privat und staatlich) und der Balance von Angebot und Nachfrage auf nationalen Arbeitsmaerkten, versuche ich dennoch die sozialen und oekonomischen Probleme, die dem individuellen Entschluss, zu migrieren, zugrunde liegen, nicht aus dem Blick zu verlieren.

Die Region Asien und Pazifik umfasst  bei der IOM 27 Laenderbueros von Afghanistan ueber Sri Lanka und Mongolei, die Mekongstaaten bis hin nach Australien und Mikronesien. Neben Menschenhandel von Frauen und Kindern in Prostitution existiert in der Grauzone zur regulaeren Arbeitsmigration ein wachsender Markt fuer Menschenhandel von Frauen, Maennern und Kindern in sklavenaehnliche Arbeitsverhaeltnisse, sei es als Haushaltshilfen, FabrikarbeiterInnen oder auf Fischerboote (hierzu der Fishermen Report)  fuer Jahre auf hohe See. Versuche, Opfer des Menschenhandels zu identifizieren, in die Heimat zurueckzubringen und zu reintegrieren, enden oft in der erneuten Emigration auf Suche nach bezahlter Beschaeftigung.

Denn niedriger sozialer Status und Stigma der Heimkehrenden, mangelnde Alternativen am Heimatort und die Hoffnung doch irgendwann den sozialen Aufstieg zu schaffen, fuehren zu einer Art „Drehtuer-Mechanismus“. Internationale Orgnaisationen und NGOs helfen bei der Rueckkehr, von wo sich die Tuer aber fuer so manche(n) weiterdreht: MigrantInnen steigen wieder in den Bus/Zug/Flugzeug und kehren an den Ort der Ausbeutung zurueck. Offizielle Migrationskanaele sind meist zu kosten- und zeitaufwaendig, sodass irregulaere Migration, vor allem ueber Landwege oder auf kleinen Booten, bestehen bleibt. Solange das Grundproblem – die Armut – am Heimatort nicht verschwindet, wird irregulaere Migration fuer Arbeit (und damit eine Ausgangssituation, die Menschenhandel ermoeglicht) nicht abnehmen. Und in manchen Faellen beginnt die Ausbeutung von zukuenftigen ArbeitsmigrantInnen bereits im eigenen Land und mit Beteiligung staatlicher Trainigszentren (hierzu Human Rights Watch ueber Domestic Workers aus Kambodscha und UNIAP ueber Recruitment und Trainingszentren in Kambodscha.).

Zu sehen bekommt das der/die DurschnittstourisIn auch. Auf meinen Reisen durch Thailand sehe ich die andere Seite des Landes, dessen spiegelnde Oberflaeche mich in Bangkok fast blendet. Bettelnde Kinder und junge Prostituierte aus Laos, Myanmar und Kambodscha, die sich in Billiardsalons in Touristenorten aufhalten. In Kambodscha sehe ich Kinder im Alter von 6-8 Jahren, die in der Naehe von Touristenattraktionen maennlichen Touristen auf der Strasse entgegenlaufen, ihre Kleider hochheben und 5$ als Preis nennen.

Die Stage, in der ich fuer mich persoenlich neue geographische Raeume beschreite, weitet auch ganz ungefragt meinen Blick fuer die schrecklichen Situationen, die entstehen koennen, wenn Armut und Geld/ Nachfrage/ die Moeglichkeit von Geld aufeinandertreffen. Und die groesste Herausforderung fuer mich: Dies alles nicht zu vergessen, waehrend ich taeglich mit tausenden gutgekleideten Bueroarbeitern auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn in die glitzernde Wolkenkratzerwelt Bangkoks einfahre.