17. April 2012

Von Unternehmensberatungen und Internationalen Organisationen

Anfang Juni, ich sitze mit 20 anderen “Exoten” in einem ultramodernen Hochhaus mit Blick über die Skyline von Düsseldorf. Wände gibt es nicht, weit und breit ist nur Glas zu sehen. Wir befinden uns im Skyoffice, der Ruhrzentrale von McKinsey. Der Name ist Programm. Es soll einem wohl das Gefühl vermitteln, man sei nun ganz oben angekommen.

Das Recruiting-Team wirkt sehr sympathisch, entgegen aller Vorurteile gegenüber McKinsey. In den nächsten beiden Tagen tun die Mitarbeiter ihr Möglichstes, um uns Teilnehmern die Angst vor einer Tätigkeit als Consultant zu nehmen. Wenn wir ehrlich sind, beziehen sich die ersten Gedanken, die bei dem Stichwort „Consultancy“ auftauchen, auf Burnout mit 28 und ein Sozialleben, dass kurz vor dem Kollaps steht. Die anwesenden Consultants beschwichtigen: Man würde zwar unter der Woche viel arbeiten – eher 12 als 8 Stunden am Tag – aber dafür hätte man am Wochenende so gut wie  immer frei.

Die Teilnehmer, meist Mediziner und Naturwissenschaftler, stöhnen auf. Sie wissen nicht ob sie sich das zumuten wollen. Man müsse so viel Reisen und sei weit weg von Freunden und Familie. Man kann nicht mehr Dienstags und Donnerstags Fussball spielen oder wie gewohnt anderen Hobbies nachgehen. Und 12 Stunden am Tag seien doch auf Dauer wirklich arg  lange. Die Up or Outpolicy. Der ganze Stress.

Ich ertappe mich bei der ganzen Diskussion dabei, wie meine Gedanken zu meinen jetzigen Arbeitszeiten schweifen, zum Leben das ich derzeit führe.

So beispielsweise in Phnom Penh, Kambodscha, wo ich für die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Gutachterin tätig war. Dort waren lange Arbeitstage und Wochenendarbeit nichts Ungewöhnliches. Es war eher die Regel als die Ausnahme. An Sonntagen begegnete man häufig im einzigen Bistro, das schnelles Internet und guten Kaffee hatte, sein halbes Büro. Selbstverständlich saß jeder am Laptop und arbeitete. Soviel zu Wochenenden und Work-Life-Balance in der Entwicklungszusammenarbeit.

In den sieben Monaten, die ich jetzt im Mercator Kolleg bin, habe ich 16 Städte bereist, die ich vorher noch nicht kannte. Reisen ist mittlerweile ein inhärenter Teil meines Lebens, wie für andere Leute das abendliche Billardspielen in der Eckkneipe oder der Sonntagskuchen bei Oma.

Im direkten Vergleich mit McKinsey schneidet mein Leben eher schlecht ab: Genau soviel Arbeit und Reisen, weniger Sicherheit, Stabilität und ein deutlich geringerer Lohn. Dabei sind sich die Tätigkeiten sehr ähnlich. Anstatt bei Unternehmen geht es bei meiner Arbeit darum, Regierungen zu beraten, wie sie ihre Kosten senken bzw. Einnahmen steigern können und wie sie effizienter, effektiver und transparenter werden. Dies beinhaltet genauso strategische Planung, das Management von komplexen Finanzströmen, die Unterstützung beim Verfassen von Gesetzen, die Neuallokation von Aufgaben sowie Personalpolitik. Und das wohlgemerkt nicht nur für ein Unternehmen, sondern für ein gesamtes Land.

Die Aufgaben sind ähnlich und die Leute gleich qualifiziert. Jedoch hat man auf der einen Seite ein Großunternehmen, das aktiv um junge Köpfe wirbt und beispielsweise lange Arbeitszeiten und Einschnitte beim Sozialleben zumindest als Problem erkennt. Auf der anderen Seite gibt es die Entwicklungszusammenarbeit, bei der eine 60-Stunden-Woche meistens eine Selbstverständlichkeit ist. Auch Bemerkungen wie: „Wie, du gehst schon heim?“ sind dafür symptomatisch. Als diese Bemerkung vonseiten einer Kollegin fiel, war es 21.15 Uhr und ich seit über 13 Stunden im Büro. Wenn man nicht am Wochenende arbeitet, kriegt man manchmal von Kollegen und Vorgesetzten ein schlechtes Gewissen vermittelt. Nach dem Motto: Man sei ja nicht mit Herzblut bei der Sache. Schließlich gehe es doch um die Menschen. Solche Argumente grenzen an emotionale Erpressung und werden als Totschlagargument verwendet um eine kritische Hinterfragung der eigenen Arbeitsbedingungen im Keim zu ersticken.

Internationale Organisationen brauchen sich scheinbar nicht um attraktive Einstiegsmöglichkeiten für qualifizierte Leute zu bemühen. Wenn man ein Jobangebot ablehnt, weil es den eigenen Kompetenzen nicht entspricht, stehen 1000 andere bereit. Bei der Weltbank (WB) müssen junge Leute als Short-Term Consultants einsteigen. Die Dreimonatsverträge werden kurz vor Ablauf immer wieder verlängert – oder eben auch nicht. Beim Besuch einer deutschen Ministerin bei der WB beschrieb ein Kollege diese Art von Verträgen sehr aussagekräftig als “moderne Leiharbeiter”. Wenn man Glück hat, kriegt man sogar einen Jahresvertrag (hier würde der Mediziner von oben wieder aufstöhnen). Für  Berufseinsteiger in anderen Bereichen wäre eine solche Quartalslebensweise und dementsprechend ein Planungshorizont, der auf drei Monate beschränkt ist, undenkbar.

Der Sprung von dieser Art von Verträgen auf eine feste Position ist so gut wie unmöglich, weil Personalförderung für Consultants bei der WB ein Fremdwort ist. Junge Leute können so nicht die Kompetenzen aufbauen, die man für eine “echte” Position braucht. Man muss also nach einigen Jahren die WB verlassen, woanders die nötigen Erfahrungen sammeln, einen PhD an einer angloamerikanischen Eliteuniversität machen und kann dann eventuell wieder zurückkehren. Die Weltbank kann es sich offensichtlich leisten. Es lassen sich für die ausgeschriebenen Positionen immer noch genug geeignete Leute finden.

Auch bei der UN sind junge Leute zumeist als Consultants oder UN Volunteers angestellt und somit deutlich schlechter bezahlt als auf einer richtigen Einstiegsposition bzw. müssen mit extrem instabilen Verträgen leben. Auch das Aufgabenportfolio auf P2 Stellen, also regulären UN Einstiegspositionen, ist meist sehr administrativ geprägt.

Schon vor einiger Zeit wurde der UN klar, dass dies ein Problem darstellt. In einem Bericht des Joint Inspection Unit zu Young Professionals im UN System aus dem Jahr 2000 wird angemerkt, dass ein Mangel an Entwicklungsmöglichkeiten und Verantwortung bei den interviewten Mitarbeitern zu Frust, Demotivierung und letztendlich zur Kündigung von Seiten vieler Arbeitnehmer führte. Junge UN-Mitarbeiter haben meist an Eliteuniversitäten studiert, schon einige Berufserfahrung gesammelt und gehörten zu den Besten ihrer Jahrgänge. Sie möchten viel bewegen, verzichten dafür oft auf gut bezahlte Arbeitsmöglichkeiten im Privatsektor, und werden letzten Endes mit Aufgaben bestraft, die sie intellektuell nicht ausreichend fordern. Ein anderes Wort, das in dem Bericht fällt ist „devaluation of the staff“ – Young Professionals haben den Eindruck, der Wert ihrer Arbeit werde von ihren Vorgesetzen nicht ausreichend anerkannt, ihnen nicht genug zugetraut.[1]

Man mag denken die UN hätte auf die Ergebnisse dieses Berichts reagiert, immerhin sind seitdem zwölf Jahre vergangen. Gespräche mit jungen Kollegen lassen jedoch darauf schließen dass sich seitdem nicht viel geändert hat. Begriffe wie „intellektuell dauerunterfordert“ fallen häufig und Verträge haben regelmäßig die Eigenschaft, monatelang in der Personalabteilung festzustecken. Dass man in der Zwischenzeit seinen Lebensunterhalt bestreiten muss, scheint für die Organisationen nebensächlich zu sein.

Wieder der Vergleich zu McKinsey: Dort wird auch nur 1% der Bewerber angenommen, sie suchen „die Besten der Besten“. An Bewerbern mangelt es nicht, und trotzdem wirbt das Unternehmen intensiv um Nachwuchskräfte. Letzteren wird bei Einstellung in sehr jungen Jahren viel Verantwortung übergeben, sie werden von erfahrenen Kräften angeleitet, bekommen  Mentoren, Fortbildungen und einen  Plan zur persönlichen Entwicklung. Die Firma macht das nicht aus philanthropischen Beweggründen, sondern  aus dem Kalkül heraus, dass sie nur so die Besten halten können, da diese sonst zur Konkurrenz abwandern.

Internationale Organisationen könnten sich hiervon eine Scheibe abschneiden. Auch sie müssen kontinuierlich ihre Performance verbessern, weil Geldgeber immer genauer wissen wollen was mit dem Geld ihrer Steuerzahler passiert. „More Bang for the Buck“ hat längst in der Entwicklungszusammenarbeit Einzug gehalten. Vor diesem Hintergrund können sich Internationale Organisationen nicht für immer darauf verlassen, dass geeignete Leute auf dem Senior-Level wie Pilze aus dem Boden schießen. Stattdessen könnten sie investieren, um junge Leute konsequent aufzubauen, so dass gute Kräfte auf Dauer an sie gebunden werden. Man mag argumentieren, es gäbe nur eine UN. Das „Rayonnement“ der UN, das „Prestige“ einer solchen Stelle würde schon dafür Sorgen, dass der Strom von Willigen nicht versiegt. Mit anderen Worten: Die UN habe eine Monopolstellung für „Wir-Verbessern-Die-Welt“ Jobs und könne diese auch ausspielen. So ein Denken ist verfehlt. In Wirklichkeit existieren viele interessante Alternativen, beispielsweise NGOs, Think Tanks oder eben auch die Privatwirtschaft.

Es muss nicht viel passieren, um jungen Leuten entgegenzukommen. Ein bisschen mehr Anerkennung für die geleistete Arbeit gepaart mit ein bisschen mehr Verantwortung. Jahresverträge anstatt Dreimonatsverträge. Die Vereinbarung von Lernzielen für das Jahr. Fortbildungen. Ein klitzekleines bisschen Stabilität.
 

Image: Skyoffice von McKinsey in Duesseldorf 


[1]Mazzalama, Francesco (2000): Young Professionals in selected Organizations of the United Nations System: Recruitment, Management and Retention, UN Document code: JIU/REP/2000/7, Geneva, Switzerland, §44 – 60.