2. September 2017

Von Wohnzimmerdemos bis Tinder – neue Formen des Protests in den USA

Während sich in den USA der Graben zwischen den politischen Lagern vertieft, rücken oppositionelle US-Amerikaner*innen zusammenrücken – Beobachtungen aus Washington, D. C.

„Und, zu welcher Demo gehst du dieses Wochenende?“, fragt mich mein Frisör. Er kommt aus dem ländlichen Teil Kaliforniens, seine Eltern haben für Donald Trump gestimmt. Bis zur Wahl war er zwar politisch interessiert, aber nicht besonders aktiv. Das hat sich im Januar schlagartig geändert. Nun bringt er seine Freund*innen zu Demonstrationen, erklärt ihnen, warum Gewerkschaften wichtig sind, und zeigt, dass die meisten Aktivist*innen „ganz normale Menschen“ und keineswegs an brennenden Mülltonnen interessiert sind. Und er ist nicht allein: Beim Women’s March am Tag nach der Amtseinführung waren etwa ein Drittel der Teilnehmenden zum ersten Mal im Leben bei einer Demo. Das lokale Online-Magazin D.C. ist riet Bewohner*innen Washingtons als Idee für ein romantisches Date, gemeinsam auf eine Demo zu gehen. Steven Colbert, ein beliebter Late-Night-Show-Moderator, scherzte, dass gar der St. Patrick’s Day zur „Demo gegen Nüchternheit“ werde.

Demos offenbar im Trend: Immer mehr US-Bürger*innen gehen auf die Straße. // Bildnachweis: Steffen Lohrey
„Love trumps hate“ - Liebe versus Hass, Clinton versus Trump: Die jüngste US-Wahl hat polarisiert, aber auch mobilisiert. // Bildnachweis: pixabay: bones64

Das Amerika links der Mitte hat sich seit November 2016 rasant politisiert. Der Wahlsieg Trumps hat gerade die gut situierten, weißen, gebildeten Amerikaner wachgerüttelt – die bis dahin mit dem Status quo recht zufrieden waren. Sie glaubten, im Großen und Ganzen sei Rassismus überwunden, Abschiebungen seien gerechtfertigt und die Gleichstellung von LGBTI*-Personen durch die Entscheidung zur „Ehe für alle“ erreicht. Heute kann man über die Online-Plattform „Resistance Near Me“ per Mausklick die nächste Demo finden.
Die alten und neuen Aktivist*innen treffen sich nicht nur auf der Straße. Sie füllen Säle und stellen kritische Fragen, wenn Kongressabgeordnete ihre Wahlkreise besuchen. Unterstützer*innen von Hillary Clinton träumen in den Facebook-Gruppen noch immer von der „Pantsuit Nation“ – von der „Nation der Hosenanzugträger*innen“. Ehemalige Unterstützer*innen des unabhängigen Senators von Vermont Bernie Sanders, der in den Vorwahlen der Demokraten gegen Hillary Clinton unterlag, organisieren über die Plattform „Our Revolution“ Wohnzimmertreffen, um sich auszutauschen und zu unterstützen (Mein Nachbar stellte dabei dankbar fest, dass in seiner WG nun mal wieder richtig geputzt wurde).

Dieser neue Aktivismus ist nicht nur eine gute Botschaft, was das allgemeine Bürgerengagement betrifft, er fördert auch neue Allianzen im linken Spektrum. In „Beyond the Movement“ vereinen sich Organisationen, die sich für die Rechte von Minderheiten, Arbeiter*innen und für die Umwelt einsetzen. Ihr Name spielt auf Martin Luther Kings „Beyond Vietnam“-Rede an, in der er zu einer Werterevolution aufrief und erklärte, dass die Friedensund die Bürgerrechtsbewegung zusammengehören. In Maryland setzen sich sogenannte „huddle groups“, die nach dem Women’s March gegründet wurden, für Migrantenfamilien ein, die von Abschiebung bedroht sind. Nach der verlorenen Wahl gründete Hillary Clinton die Organisation „Onward Together“, die bestehende oppositionelle Gruppen etwa dabei unterstützt, für die nächsten Wahlen zu mobilisieren oder Kandidatinnen zu fördern. Die Organisation fördert aber auch die Gruppe „Color of Change“, die sich gegen Rassismus und für die Gleichstellung von schwarzen Bürger*innen einsetzt. In der Trump-Ära scheinen oppositionelle Gruppen zu erkennen, dass sie zusammenhalten und ihre Ziele gemeinsam erreicht werden müssen, damit sie, wie Martin Luther King es formulierte, „in einem einzigen Gewand des Schicksals verwoben“ sind.

Doch während das wachsende politische Engagement der US-Amerikaner*innen, die sich gegen Trumps Politik stellen, Brücken innerhalb der Linken baut, scheint sich der Graben zwischen ihnen und den Trump-Unterstützer*innen immer weiter zu vergrößern. Konservative Tourist*innen in D. C. tragen stolz ihre „Make America Great Again“-Kappen, Jugendgruppen imitieren linke Protestgesänge und zeigen, dass auch sie kämpferisch sind: „We won’t go!“ Liberale Amerikaner*innen selektieren auf der Dating-App Tinder mit den Worten: „No Trump supporters“. Als ein achtjähriger Junge an einer Demo vor dem Trump-Hotel vorbei lief und stolz auf seine rote Trump-Baseballkappe zeigte, riefen Demonstrant*innen: „I’m sorry for you!“ und „Shame, shame, shame!“ Schnell änderte eine der Organisator*innen am Mikro die Rufe zu „Love trumps hate“, doch der Junge war schon durch die Hoteltüren verschwunden.
Die Politisierung und der wachsende Aktivismus der Opposition zu Trump sind bemerkenswert. Die Erkenntnis der Bürger*innen, sich auch außerhalb von Wahlen engagieren zu können und zu müssen, ist sicherlich eine gute Nachricht für die Zukunft der US-amerikanischen Demokratie. Doch die Politisierung birgt auch Gefahren, wenn die Opposition nicht die breite Gesellschaft mit ins Boot holt und Menschen ausgrenzt anstatt einzuladen. „Showing Up for Racial Justice“, eine Organisation, die primär weiße Amerikaner*innen über Rassismus aufklärt, hat diese Motto daher zu einem ihrer sieben Prinzipien gemacht: „Calling people in, not out“. Mögen sich andere ihnen anschließen.