19. November 2012

Warum der Konflikt im Kongo nicht aufhört: Eine unvollständige Analyse.

Warum der Konflikt im Kongo nicht aufhört: Eine unvollständige Analyse.

Aus aktuellem Anlass, an einem Tag an dem die Provinzhauptstadt des Nordkivu, Goma, heftig umkämpft ist und in die Hände der M23-Rebellen fallen zu droht.

Anfang November 2012, Distrikt Masisi, Nordkivu, Ostkongo: Mitglieder einer Miliz, die gerade in die kongolesische Regierungsarmee eingegliedert wird, überfallen ein Dorf und töten sieben Menschen. Sechs Frauen, ein Kind. Das Massaker ist begleitet von kaum nachvollziehbarer Grausamkeit, die Wahl der Waffen in den Augen der Beobachter unsäglich und das Ergebnis dementsprechend, wie mir verschiedene Quellen vor Ort bestätigen.

Rückblick, November 2008, Distrikt Rutshuru, Nordkivu, Ostkongo: Beim Massaker von Kiwanja werden Dutzende von Zivilisten von Rebellen geschlachtet. Human Rights Watch veröffentlicht im Rückblick einen Bericht, der die gnadenlose Gründlichkeit der Täter beschreibt.

Beide Ereignisse haben den Monat des Geschehens und die Intensität der Gewalt gemein. Ansonsten recht wenig. Die verantwortlichen Gruppierungen sind andere, die Orte des Geschehens liegen ca. 100 Kilometer Luftlinie und geschätzte 12-15 Stunden Autofahrt voneinander entfernt. In der Zwischenzeit liegt eines der vier großen Friedensabkommen zwischen der kongolesischen Regierung und allerlei bewaffneter Gruppen, zahlreiche Milizen haben aufgehört zu existieren während mindestens genauso viele neu entstanden. Die Blauhelme der Vereinten Nationen wurden von MONUC zu MONUSCO umbenannt, da sie nun offiziell eine Stabilisierungsmission sind. Das wollte Präsident Kabila und auch die Vereinten Nationen waren angesichts der harschen Kritik an ihrer Friedensmission einem neuen Anstrich gegenüber nicht abgeneigt.

Warum nun, hört dieser Konflikt nicht auf? Diese Frage stellen sich hunderte, wenn nicht tausende Menschen, die in oder zum Krisengebiet Ostkongo arbeiten. Sie wird ebenfalls in den Medien, wenn auch mit unterschiedlicher Berichterstattungsfrequenz, immer wieder debattiert – oft allerdings auf der Basis irreführender Prämissen. Drei gängige Erklärungsmuster:

1) Der Konflikt im Ostkongo fußt auf illegalem Abbau und Handel von Rohstoffen wie Gold, Tantal, Zinn und Wolfram.

2) Der Konflikt im Ostkongo ist ein irrationaler Stammeskrieg (allein das Wort „Stamm“ sollte sich bereits verbieten) voller gegenseitiger Vergewaltigungsorgien.

3) Der Konflikt im Ostkongo ist eine Invasion aus Ruanda, die in den Kivuprovinzen ihr pré-carré sehen und ausnutzen.

Alle diese Muster sind selbstverständlich vereinfachend, und dazu auch verfälschend, wenn auch nicht ganz aus der Luft gegriffen:

1) Der illegale Abbau und Handel mit sogenannten Konfliktmineralien spielt eine maßgebliche Rolle für die Finanzierung bewaffneter Gruppen im Kongo und seinen Nachbarstaaten und nützt auch kriminellen Elementen in der Regierungsarmee. Allerdings ist er bei weitem nicht die einzige Einnahmequelle, sondern befindet sich in guter Gesellschaft mit Kuhmilch, Palmöl, Seife, Marihuana, Wegzoll, Steuern auf Hilfsgüter und anderen Dingen. Der entscheidende Punkt jedoch ist, dass die Rohstofffrage kausal oft falsch interpretiert wird, denn Rohstoffe sind nicht Auslöser der Konflikte, sondern ein Mittel, bestehende Konflikte anzufeuern und aufrechtzuerhalten. Das internationale Interesse an der Rohstoffproblematik hat leider bisher noch nicht dazu beigetragen, die Wurzeln des Konfliktes anzugehen. Initiativen, wie der Dodd-Frank-Act der USA verursachen derzeit eher erhöhte Schmuggelaktivität als eine Eindämmung des illegalen Abbaus.

2) Vergewaltigung spielt traurigerweise eine erhebliche Rolle in den Gewaltstrategien der meisten Konfliktakteure. Oft wird sie gar systematisch als Kriegswaffe eingesetzt, nicht nur um die Frauen des Feindes zu verletzen und zu entehren, sondern auch um eigene Krieger zu „belohnen“, um eine verhasste Bevölkerungsgruppe schleichend auszulöschen (entweder dadurch, dass eine vergewaltigte Frau als entehrt gilt und ausgestoßen wird, oder aber um durch Schwangerschaften eine Ethnie zu erniedrigen, oder schlicht um Frauen durch heftige Verletzungen unfruchtbar zu machen. Dies ist alles Realität im Ostkongo. Den Konflikt allerdings auf sexuelle Gewalt zu minimieren wird weder der Sachlage noch den Opfern gerecht. Diese werden häufig, selbst durch Hilfsprojekte stigmatisiert, anstatt sie im Sinne von „empowerment“ um den standesgemäßen Jargon der Entwicklungszusammenarbeit zu bemühen zu stärken. Die internationale Mitleidsgemeinschaft ist im Bezug auf den Ostkongo so stark auf die Vergewaltigungsproblematik konzentriert, dass andere, ebenso relevante Aspekte in Vergessenheit geraten. Zugleich wird das Problem nur symptomatisch bekämpft, denn keine Organisation (nicht einmal die Blauhelme) ist bereit im Feld aktiv etwas gegen die Problematik zu tun – während in den bequemeren städtischen Gebieten Hilfsprogramme wuchern, die jedoch nur ex-post ansetzen.

3) Sicherlich spielt Ruanda eine beträchtliche Rolle in den Konflikten des Ostkongo. Der Exodus der Völkermörder Ende 1994 war ein Hauptkatalysator der bereits bestehende Spannungen im Ostkongo zu Eskalation im Rahmen einer humanitären Katastrophe und zahlreicher Vergeltungskriege eskalieren ließ. Anschließend war Ruanda an der Seite von Laurent-Désiré Kabila als dieser 1997 Mobutu stürzte. Im Krieg zwischen 1998 und 2003 bekämpfte Ruanda schließlich Kabila und im vergangenen Jahrzehnt hat Ruanda immer wieder Rebellionen gegen Kinshasa angezettelt. So auch jetzt im Kontext der Gruppe M23, wie unter anderem der Bericht der UN-Expertengruppe zum Kongo besagt, der zwar von ruandischer Seite geleugnet wird, aber dennoch einige stichhaltige Argumente vorweist. Dennoch ist es gefährlich, die Problematik auf den gewiss bestehenden Einfluss des kleinen Nachbarlands zu reduzieren, hauptsächlich aus zwei Gründen: Zum einen belastet der latente Generalverdacht gegenüber Ruanda das ohnehin schon fragile Verhältnis beider Staaten und deren Bevölkerungen und birgt die Gefahr, Ruanda als Staat zu radikalisieren. Darüber hinaus, gehen die Probleme des Kongo weit über die bloße Einflussnahme Ruandas hinaus.

Anstelle der drei skizzierten Muster, lohnt es sich unter Umständen, verstärkt über folgende, weniger griffige, aber wahrscheinlich strukturellen Faktoren nachzudenken:

Landkonflikte: Der Ostkongo gehört, wie auch Ruanda, zu den am dichtesten besiedeltsten Regionen Afrikas und ist zugleich seit jeher ein Potpourri unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen mit fluktuierenden Grenzen. Kurzsichtiger und grausamer Kolonialismus gepaart mit machtorientierter Politik der postkolonialen afrikanischen Politik ließen daraus ein, flapsig ausgedrückt, Chaos entstehen. In der Landfrage führte dies zu einer Situation konkurriender Rechtsprechung: Staat gegen traditionelle Autoritäten.

Konfiguration alternativer Herrschaftsordnungen: In unserer westlich geprägten Wahrnehmung fällt uns das Scheitern oder Versagen des Staates ins Auge. Der souveräne, westphälische Nationalstaat gilt uns als nicht zu hinterfragendes gesellschaftliches Organisationsmodell, welches wir im Kongo nicht wiederfinden. Dieses Modell ist in seiner Anlage jedoch den Ostkongo vertretenen Kulturen diametral entgegengesetzt. Das heißt allerdings nicht, dass dort keine Gesellschaftsmodelle existieren. Nur sind diese anders konfiguriert. Soziale Ordnung und gesellschaftliche Struktur existiert im Ostkongo ebenfalls und sie ist nicht zwangsläufig minderwertig.

Sicherheitssektor: Um Konflikten vorzubeugen oder sie zu lösen benötigt es einen Sicherheitsapparat der alle Bürger gleich behandelt und ihre Rechte achtet und beschützt. Solange der Sicherheitssektor im Kongo einerseits unfähig ist, die Menschen vor bewaffneten Gruppen aus dem In- und Ausland zu schützen und andererseits selbst einer der größten Unsicherheitsfaktoren für die Menschen ist, kann es nur schwer Frieden und Gerechtigkeit geben. Eine Reform von Militär, Polizei und Justiz ist daher die Basis für eine wirksame Unterbindung von Symptomen, wie Rohstoffkriminalität, sexueller Gewalt und grenzüberschreitender Aggression.

Diese drei Aspekte können ebenfalls nur zum Teil die Problematik des Ostkongo erklären. Dennoch wäre es erfolgversprechender, sich diesen Themen zuzuwenden, anstatt wie seit Jahren nur die oberflächlichen Phänomene der mannigfaltigen Konflikttopographie des Ostkongo anzugehen.