15. November 2013

Zwischen Stadt und Land: Herausforderungen des peri-urbanen Wachstums

Stadtentwicklung am Rand von Metropolregionen führt zu­nehmend zu Konflikten: Exklusive Immobilienprojekte verdrän­gen zunehmend günstige Wohnungen.

Es war Anfang des Jahres, als ich den unbefestigten Weg nach Witeithie hinaufging. Landwirtschaftliche Nutzflächen grenzen in dieser Siedlung direkt an neu gebaute Wohnhäuser. Man findet ein paar Läden und Essensstände an der örtlichen Kleinbushalte­ stelle. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Die Dyna­mik der im Wachstum und Wandel begriffenen Ortschaft in der Metropolregion Nairobi in Kenia ist deutlich spürbar. Doch ist Witeithie bereits urban oder immer noch ländlich? Die typi­sche dichotome Sichtweise Stadt–Land ist hier wenig hilfreich. Witeithie kann am besten als peri­urban beschrieben werden. Es ist ein Ort des Zusammentreffens von ländlichen Lebens­ gewohnheiten, partieller Subsistenzlandwirtschaft, einigen urbanen Dienstleistungen und enger funktionaler Verzahnung mit der nahegelegenen Großstadt. Seine Bewohner sind durch durch Ver­wandte in Nairobi oder das tägliche Pendeln zur Arbeit trotz der Entfernung eng mit der Großstadt verbunden.

Ein weltweites Phänomen

Kenias urbane Gebiete sind kein Sonderfall. Ob Lima in Peru oder Ghaziabad in Indien – Metropolregionen überall im Glo­balen Süden erleben eine Peri­ Urbanisierung. Ungebremstes Bevölkerungswachstum in urbanen Gebieten führt zu starker räumlicher Expansion der Städte. Die lange vernachlässigten peri­urbanen Gebiete rücken nur langsam in den Fokus der Stadtplanung. Diese Gebiete bringen das ganze Ausmaß rapider ungeplanter Urbanisierung zum Ausdruck. Beispiel Kairo: Auf Grund der hohen Nachfrage nach Wohnraum in der Innen­ stadt werden die Mieten für viele Bewohner unerschwinglich. Tausende Land­ Stadt­ Migranten nutzen oftmals gezwungener­ maßen den günstigeren Wohnraum am Stadtrand, um sich ein Dach über dem Kopf zu sichern. Dafür nehmen sie die schlechte Infrastruktur in Kauf, wie zum Beispiel ungenügende Verkehrs­ anbindungen, ungenügende öffentliche Strom­ und Wasserver­sorgung oder einen schlechteren Zugang zu sozialen Diensten und Arbeitsplätzen. Wer die Ursprünge der Proteste in Ägypten – sowohl 2011 als auch in diesem Jahr – nachvollziehen möchte, muss sich die städtischen Randgebiete anschauen: Die räumlich manifestierte, sozio­ökonomische Benachteiligung großer Teile der Bevölkerung war eine der Triebkräfte für die Demonstrationen.

Die schwierige Lebenssituation ärmerer Bewohner am Stadt­ rand wird seit einigen Jahren durch einen signifikanten Interessen­ konflikt verschärft. Die aufstrebende Mittelschicht möchte den schmutzigen, engen, überteuerten Innenstädten entfliehen. Dank zunehmend besser ausgebauter Straßen rücken die Vororte in angenehme Pendlernähe. In der Folge sieht man die rapide, ungeordnete und oftmals spekulative Umwandlung von Freiflächen in Bauland. Durch die Investitionen steigen die Mietpreise und sozio­ökonomisch schwächere Gruppen werden weiter ins Hinter­land oder in die städtischen Slums verdrängt. Vergleicht man Fotos von Immobilienprojekten am Stadtrand von Accra mit jenen von Nairobi, Johannesburg oder anderer Großstädte von Lateinamerika bis Südostasien, fällt eine Gemeinsamkeit ins Auge: Beinahe überall findet man „Gated Communities“ nach US­ amerikani­schem Vorbild. In diesem Verdrängungsprozess driften ärmere und reichere Bewohner räumlich und sozial immer weiter ausein­ander. Es erhöht sich zwar beispielsweise das Angebot an medi­zinischer Versorgung und Bildungseinrichtungen in vormals unterversorgten Stadtrandgebieten, doch leisten kann sich diese privaten Dienstleistungen nur die kaufkräftige Mittelschicht.

Peri-urbane Siedlung Witeithie © Renard Teipelke

Herausforderungen für Staat und Umwelt

Die Herausforderungen für die betroffenen Verwaltungen sind vielfältig und gehen über Stadtentwicklungs­ und sozialpolitische Probleme hinaus. In der Kairoer Metropolregion beispielsweise versuchen drei aneinander grenzende Regionalverwaltungen die Megastadt mit ihren circa 18 Millionen Einwohnern zu managen. In dieser wenig effektiven Verwaltungsstruktur sind überregionale Herausforderungen nur schwierig zu koordinieren. Dabei wäre gerade hier die Umsetzung einer nationalen Urbanisierungsstrategie gefragt. Durch die Verstädterung gehen wertvolle landwirtschaftliche Nutzflächen verloren. Der in den Satellitenstädten notwendige Autobesitz und die geringe Besied­lungsdichte haben zusätzlich negative Auswirkungen auf die Umwelt. Kairo läuft Gefahr, über die Limits seines Ökosystems hinaus natürliche Ressourcen zu verbrauchen. Die langfristigen Folgen für Mensch und Umwelt treten dabei besonders gravierend im peri­urbanen Raum auf. Mittelfristig treffen sie vor allem jene Bevölkerungsschichten, die nicht die finanziellen Mittel für eine individuelle Infrastrukturversorgung aufbringen können und auf den Staat angewiesen sind.

Auf Ebene der Entwicklungszusammenarbeit sind hier Organi­sationen wie UNDP, UN­ Habitat oder die GIZ gefordert, in ihren Tätigkeiten die Bedeutung städtischer Randzonen expliziter zu reflektieren und ihre Programme stärker den Bedürfnissen der lokalen Verwaltungen und der städtischen Bevölkerung anzupassen. Wie in Nairobi fehlen auch anderen Metropol­regionen häufig die Ressourcen, um das Wachstum in hunderten Quadratkilometer großen peri­urbanen Gebieten zu verwalten. Ausgewählte Infrastrukturprojekte wie Zugangsstraßen, öffent­liche Marktplätze oder Hauptanschlussstellen für Wasser und Strom an bestimmten Punkten (sogenannte „growth nodes“) haben sich als effektiv erwiesen, um das ansonsten ungeordnete Wachs­tum strategisch zu lenken. Ortschaften wie Witeithie in Kenia sind hier in einer relativ günstigen Ausgangssituation. Durch die schrittweise Umsetzung der neuen kenianischen Verfassung wurde ein regionales County­System geschaffen, in welchem Nairobis peri­urbaner Norden nun von einer einzigen Verwaltungseinheit
in wichtigen Bereichen wie Infrastrukturversorgung und Raum­ planung ganzheitlich entwickelt werden kann. Trotz dieser ersten positiven Schritte bleibt die Aufgabe, den vielfältigen Herausfor­derungen rapiden Wachstums am städtischen Rand proaktiv zu begegnen, damit sich die in Innenstädten typischen Probleme im peri­urbanen Raum nicht wiederholen.